Mein Freund @misik hat gerade einen tollen, wertschätzenden thread über Marx und Marxismus geschrieben und spontan möchte ich eine alte twitter-tradition wiederbeleben: Diskurs.

Ich halte Marxismus - gerade für Linke - für eine schlechte Brille, um auf die Welt zu schauen. 1/n
RT @misik: Marxismus - ist das was total Böses?

Ein Thread und Blogpost:

ÖVP-General Stocker, in seinem ewigen Bestreben, der Trottelforschung Material zu liefern, hat jetzt gemeint, de…

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Ich halte Marx für einen großen Denker wie Sigmund Freud. Beide haben eine neue intellektuelle Tür aufgestoßen - aber die moderne Wissenschaft widerspricht ihnen und in der Praxis haben sie sich nicht bewährt. Kein ernsthafter Psychologe arbeitet heute mit Freuds Konzepten. 2/n

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Ähnlich sollten progressive Kräfte es mit Marx halten. Es sind drei Grundkonzepte des Marxismus, die ihn für politische Analysen im 21 Jahrhundert völlig unbrauchbar machen - und die wohl immer schon schwere Fehler waren. 3/n

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Das sind:
a) die angebliche Gesetzmäßigkeit der Geschichte
b) die Einteilung der Menschen in starre Klassen
c) die Arbeitswerttheorie
4/n

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a) Für Marx ist der Ablauf der Geschichte zielgerichtet folgt Gesetzen, denen die Gesellschaft gar nicht entkommen kann. Die Vorstellung, es gäbe ein vorbestimmtes Ziel der Gesellschaft ist quasi-religiös, folgerichtig steht an ihrem Ende die Erlösung durch den Kommunismus 5/n

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Es ist auch schlicht und einfach falsch, dass alle Gesellschaften einen Ablauf von Stammesgesellschaft (Urkommunismus), Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus und schließlich Kommunismus erleben (müssen). 6/n

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Marx hat hier die europäische Geschichte zugrunde gelegt, auf andere Kulturen müsste man dieses Schema draufpressen. F. Fukuyama hat sich darüber lustig gemacht, wie kommunistische Ideologen den Feudalismus in der indischen Geschichte gesucht haben. 7/n

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Und natürlich endet die Geschichte nicht zwangsläufig im Kommunismus. Das kann ich natürlich nicht beweisen und Marxisten können stets entgegnen, dass wir uns einfach immer noch in der kapitalistischen Phase befinden... aber das können sie ewig. Ähnlich den Zeugen Jehovas. 8/n

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Wenn man die Idee von der Gesetzmäßigkeit der Geschichte verwirft, entzieht man der ganzen marxistischen Analyse ihren Boden. Dabei ist das noch der leichteste Einwand. 9/n

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b) Die Einteilung der Menschen in Klassen ist analytisch hochproblematisch. Aus Marx ergeben sich die Klassen in der Geschichte immer aus der Verfügbarkeit über die Produktivkräfte, egal ob in einer landwirtschaftlichen Sklavenhaltergesellschaft oder im Industriekapitalismus 10/n

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Marx vereinfacht den Klassengegensatz an mindestens einer Stelle auf "Unterdrücker und Unterdrückte" und das wäre für progressive Politik ja brauchbar. Damit lassen sich viele Themen untersuchen. 11/n

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Das analytische Problem liegt darin, dass dieses Verhältnis immer durch die Verteilung der Produktivkräfte definiert wird. Und das reicht für die Bearbeitung vieler gesellschaftlicher Probleme überhaupt nicht. 12/n

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Produktivkräfte sind für Marx die natürlichen, technischen, organisatorischen und wissenschaftlichen Ressourcen einer Gesellschaft. Ihre Verteilung definiert die Klassen und damit die relevanten politischen Auseinandersetzungen. 13/n

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Das Patriarchat ist sicher auch eine Frage der Verfügbarkeit der Produktivkräfte, aber ausschließlich? Rassimus gegen MigrantInnen durch ArbeiterInnen, die selbst um ihren Job fürchten... das ist ein Kampf um Produktivkräfte, aber innerhalb einer Klasse. 13/n

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Im Antisemitismus wird den Juden sogar vorgeworfen, über zu viele Produktivkräfte zu verfügen. Ist das umgekehrter Klassenkampf? Sicher nicht, wenn man die Leitlinie von Unterdrücker und Unterdrückte zugrunde legt. 14/n

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Was ist mit Homophobie? Da geht's um Unterdrückung, aber praktisch null um Produktivkräfte. Was ist mit Nationalismus? Wenn zwei Länder mit vom Nationalstolz geschwellter Brust in den Krieg ziehen taugt Klassenkampf nicht als Analyse. 15/n

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Ja, man kann all das parallel zu Marx auch anders analysieren, ohne ihn zu verwerfen. Aber dann braucht man halt dafür auch keine marxistische Brille auf die Gesellschaft. Damit kommen wir zum wichtigsten Punkt. 16/n

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c) Die ökonomischen Analysen von Marx stehen auf einer völlig überholten und unbrauchbaren Basis, der Arbeitswerttheorie (AWT). Die hat er nicht erfunden, die war damals die Grundlage der Ökonomie und auch Adam Smith hat sie verwendet. 17/n

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Aber Smith wird halt heute auch nur noch für seine historischen Verdienste gewürdigt, keinE Ökonom:in begründet noch moderne Theorie auf seinen Ideen. Ähnlich muss man es mit Marx halten. (Eben so wie bei Freud.) 18/n

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Die moderne Antwort auf die AWT ist die Nutzwerttheorie bzw Erwartungsnutzentheorie (ENT) und bis sie von besserem abgelöst wird, sollte sie allen progressiven ökonomischen (und politischen) Analysen zugrunde liegen. 19/n

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Der Unterschied stark vereinfacht: In der Arbeitswerttheorie entsteht Wert eines Produktes oder einer Dienstleistung eben durch die Arbeit, die hineingesteckt wird. Viel Arbeit = viel Wert. Die Arbeit schafft den Mehrwert. 20/n

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In der Nutzwerttheorie entsteht er aber durch den Nutzen bei der Anwendung, beim Konsum, beim Verbrauch. Viel Nutzen = viel Wert. Die Arbeit muss Nutzen erhöhen, das schafft Mehrwert.
Wenn mit wenig Arbeit viel Nutzen geschaffen wird, dann steigt der Wert trotzdem stark.
21/n

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Nach diesem thread werde ich den Freitag abend genießen und mir mit Freunden ein Bier im Cafe Europa holen. 4,70 pro Glas - ob es das wert war, wird daran liegen, wieviel Freude (Nutzen) mir der Abend macht. Nicht daran, wieviel die Kellner:innen arbeiten. 22/n

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Na klar, das ist ein sehr, sehr banales Beispiel. Nehmen wir ein Stück urtümliches Land, das zur Weide gemacht werden soll. Sein Wert liegt in dem Nutzen, den man später daran hat. Die reingesteckte Arbeit... die sind Kosten. Deshalb wird am Amazonas brandgerodet. 23/n

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Die Arbeitswerttheorie ist vollkommen unbrauchbar und damit ist die marxistische ökonomische Theorie unbrauchbar und sollte nur noch historisch gelesen werden. Progressive, weg damit in der aktuellen Analyse!

So, Ende, weil 24/n, N=24 und mehr geht nicht.

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